Anfang Juni 2010 trat ich meine Reise nach China an. Mein Plan sah wie folgt aus: Ich wollte Kung Fu lernen… und zwar am Ursprungsort – in China! Nachdem ich auf Grund Flugverspätung in Peking meinen Anschlussflug nach Zhengzhou verpasste hatte, hieß es auf einen neuen Flieger warten. Etwa 10 Stunden später kam ich am Flughafen Zhengzhou an und wurde dort vom Headmaster der Schule, an die ich gehen wollte, abgeholt. Er hieß mich in China willkommen, nahm mir mein Gepäck ab und dann ging es in seinem Auto in Richtung Schule. Dort angekommen konnte ich meinen Augen nicht trauen. Der erste Eindruck war ganz anders als ich es mir vorgestellt hatte. Eigentlich war mit sofort klar, dass ich dort nicht länger als eine Woche bleiben würde, anstelle der geplanten 3 Monate. Ich wurde auf mein Zimmer gebracht und machte Bekanntschaft mit meinen künftigen Zimmerkollegen. Da es mitten in der Nacht war, legte ich mich einfach nur noch ins Bett. Am nächsten Tag lernte ich dann auch die anderen Ausländer (und natürlich auch Chinesen) kennen, die hier in der Kung Fu-Schule wohnen. Zu meiner Überraschung war der Anteil an Deutschen recht hoch. Die Tage vergingen und ich lernte die chinesischen Gewohnheiten inklusive dem Essen, den Toiletten, dem Leben auf dem Land und in der Stadt und nicht zuletzt auch das Training kennen.
Trainiert wird in einer chinesischen Kung Fu-Schule den ganzen Tag und die ganze Woche lang. Einen Tag in der Woche hat man Frei, aber ansonsten trainiert man hier bis zu 8 Stunden täglich. Das Training ging morgens um 5:40 Uhr los und war gegen 20:40 Uhr beendet. Dazwischen gab es Pausen für das Essen. Das Essen war täglich fast identisch und es wurde, so wie in China üblich, keinen Unterschied zwischen den Tageszeiten gemacht. Es gab immer Reis und Dampfbrötchen. Als verwöhnter Europäer heißt es da erst einmal eine Lösung finden. Ich persönlich hatte mich mit genug Vitaminen und Mineralstoffen aus Deutschland eingedeckt, denn nährstoffreiche Lebensmittel waren eine Rarität.
Die Trainer, sogenannte Shifus (chin. Meister), waren alle so um die 20 Jahre alt und haben ihr ganzes Leben nichts anderes gemacht als Kung Fu zu trainieren. Das Trainingslevel in China ist deutlich höher als in Deutschland. Wie bereits angesprochen trainiert man hier täglich viele Stunden und das meist über mehrere Jahre hinweg. Auf Schulbildung wird weitestgehend verzichtet. In der Kung Fu-Schule wird den kleinen Kindern (Eltern schicken ihre Kinder teilweise schon mit 4 Jahren in einer solchen Schule) lesen und schreiben beigebracht. Das war es dann aber auch schon. Der Rest besteht aus Kung Fu. Man aber sollte dazu wissen, dass eine solche Kung Fu-Ausbildung in China ähnlich hoch wie ein Studium angesehen wird. Die Chancen später einen Beruf im Militär- oder Sicherheits-Bereich zu finden sind hoch. Die Shifus an der Schule wo ich war, trainierten überwiegend alle in Shaolin Quan. Das ist die offizielle Kung Fu-Schule des Shaolin-Tempels.
Zu den Trainingsmethoden kann ich nur sagen, dass einige den Rahmen sprengen. So werden die kleinen Chinesen unter großen Schmerze in den Spagat gedrückt. Allgemein wird „nachgeholfen“ wo man kann. Wenn beim Laufen keine Höchstleistungen gegeben werden, rennt halt ein Shifu mit einem Stock hinterher und droht Schläge an. Nicht selten fließen Tränen, doch nach dem Training verstehen sich die Kleinen wieder bestens mit ihren Shifus. Als Ausländer wird man etwas sanfter behandelt. Man muss also nicht fürchten verdroschen zu werden. Dafür bezahlt man einfach zu viel Geld, als dass sich das die Chinesen leisten können drauf zu verzichten.
Um das tägliche Training durchzuhalten bedarf es viel Durchhaltevermögen. Man durchlebt eine Art Metamorphose, in der sich der Körper den übermäßigen Belastungen anpasst. Nach etwa einen Monat ist das Schlimmste vorbei und der eigene Körper hat sich an die Strapazen gewöhnt. Der Muskelkater geht aber trotzdem nicht weg. Viele Ausländer halten das Training nicht durch und geben auf, indem Sie nicht mehr richtig mitmachen wollen oder sogar abreisen. Für mich war es eine tolle Erfahrung. Ich bin an meine Grenzen gegangen und habe meinen Körper besser kennen gelernt. Ich bin als totaler Kung Fu-Laie nach China gekommen und kann nun mit Sicherheit behaupten, dass ich Kung Fu besser beherrsche als der Durchschnitts-Europäer über einen Zeitraum von einen oder sogar zwei Jahren „nur“ 2 bis 3 Mal die Woche Kung Fu trainiert.
Diese Reise hat mir viel Lebenserfahrung eingebracht. Ich habe die Welt mit anderen Augen gesehen und gelernt, die kleinen Dinge im Leben zu genießen. Als Beispiel möchte ich einfach mal fließendes Wasser nennen: In der Schule gab es das zwar, doch wurde es regelmäßig zu unregelmäßigen Zeiten einfach abgeschaltet um Wasser zu sparen. D.h. nach einer harten Trainingseinheit konnte man sich nicht einmal duschen und musste teilweise Stunden auf das Wasser warten. Irgendwann konnte man sich dann eine kalte Dusche gönnen, denn heißes Wasser gab es nicht. Ihr könnt euch dann sicher vorstellen welche Freude es ist, dass erste Mal nach drei Monaten heiß zu duschen.
Ich denke schon allein deswegen ist so eine Reise wertvoll. Es war eine tolle Zeit mit vielen Abenteuern und ich kann es jedem nur empfehlen.