Sinologie ist die Lehre der chinesisch-asiatischen Weltanschauung. Ein trockenes und hochkompliziertes Fach an den deutschen Universitäten. Man lernt im besten Falle über die Lehren des Konfuzius, chinesische Geschichte, auf höchst umständlichen Wegen (und mit oft sehr unbequemen Lehrbüchern) die chinesische Sprache. Man muss Lang- und Kurzzeichen pauken (auch wenn einen die Langzeichen gar nicht interessieren).
Doch was man nicht lernt ist, wie „der Chinese an sich und im Allgemeinen“ wirklich ist. Dies erfährt man nur, wenn man selbst das Abenteuer wagt und nach China reist, um dort unter Chinesen zu leben.
Viele „Expats“ (in der Regel Ausländer, die von ihrer Firma für viel Geld für eine Weile nach China geschickt werden, um in der dortigen Filiale zu arbeiten) bleiben auch in Peking unter sich. Sie gehen ins Starbucks in Sanlitun oder Liangmaqiao, verbringen ihre Zeit mit den (internationalen) Kollegen (nur nicht mit den Chinesen) und manche besuchen das deutsche Restaurant zum Stammtisch, um über ihre chinesischen Kollegen zu lästern, ohne auch nur einen Deut des echten China kennenzulernen (oder ihre chinesischen Mitmenschen kennenzulernen).
Ich selbst habe zwei Jahre in Peking gelebt, mit meiner chinesischen Frau und nicht wenig Zeit mit meinen chinesischen Schwiegereltern (die weder deutsch noch englisch verstehen). Ich arbeitete in einer chinesischen Firma mit 80% Kollegen, die kein Wort Englisch verstanden (mein Team baute ich dort mit Chinesen auf, die englisch beherrschten – aber vor allen Dingen, weil es für ihren Job einfach notwendig war, weniger wegen mir).
Meine Wohnung war weit ab von denen der Expats. Vielmehr wohnte ich in einem dieser Hochhäuser, die von außen „naja“ aussehen, im Treppenhaus einem Rohbau ähneln und erst in der Wohnung selbst einen Standard zeigen, der an den einer deutschen Wohnung erinnert (komplett möbliert mit Einrichtungsgegenständen, die so gar nicht zueinander passen).
Solche Erfahrungen bringen einen deutlich näher dahin zu verstehen, wie denn „der Chinese an sich und im Allgemeinen“ ist, auch wenn ich noch lange nicht verstehe, wie dieses mir noch immer fremde Volk so tickt.
Jo Schwarz, der Autor des Buches lebt seit vielen Jahren in China, ähnlich wie ich nur noch extremer. Er lebt alleine in einer rein chinesischen Gegend ohne hohen Ausländeranteil. Um seine Angelegenheiten kümmert sich nicht wie bei mir seine Frau, sondern er muss sich mit seinen erlernten Chinesisch-Kenntnissen selbst darum kümmern. Seine Kollegen auf der Arbeit sprechen zu 100% Chinesisch und nur in den seltenen Situationen, in denen er sich mit Ausländern wie mir mal zum Essen verabredet ist seine Umgangssprache das Chinesische und sein Lebensraum das echte China.
In vielen unterhaltsam geschriebenen Kapiteln erzählt er aber nicht von seinen Erlebnissen, sondern vielmehr von seinen Erkenntnissen über China und „den Chinesen an sich und im Allgemeinen“. Er erzählt von den Gebräuchen, die uns Europäern als seltsam anmuten, er erklärt warum das so ist und wie sich diese entwickelt haben.
Dabei erzählt Jo über das kulturellen Erbe des ältesten Gewerbes der Welt, welches im alten China nicht von Sex, sondern Kultur geprägt war (man heiratete einfache und schöne Frauen für das Haus, die Kinder, … und „holte“ sich intellektuelle Unterhaltung mit Poesie, Musik und anspruchsvollen Gesprächen bei den Damen des Gewerbes, welche oft in speziellen Schulen eine beeindruckend hohe Bildung genossen).
Jo erzählt in seinem Buch aber auch von der heutigen Welt, dem ewig lächelnden Chinesen, der Dich insgeheim lieber auf den Mond schießen würde, ihm die Wahrung seines Gesichtes das aber nicht erlaubt.
Jo berichtet von der seltsamen Angewohnheit chinesischer Frauen sich absolut kindisch und fordernd zu verhalten und von chinesischen Männern, die dies sogar süß und bezaubernd finden, während Deutsche sich von solch unreifem Verhalten abgeturnt finden würden (habe da wohl echt Glück mit meiner Frau, dass dies bei ihr nur selten vorkommt).
Dieses Buch ist wirklich wie der Titel schon sagt ein Werk der Alltags-Sinologie. Eindrücke und Hintergründe, die man in keinem Sinologiestudium lernt, die man niemals erfährt und erlebt, wenn man nicht persönlich eine ganze Zeit in China unter Chinesen lebt und arbeitet.
Dieses Buch ist eine absolute Empfehlung für all diejenigen, die sich für China interessieren, die sich unterhalten fühlen wollen, die staunen möchten über ein fernes und fremdes Land.
Dieses Buch ist aber auch für all diejenigen, die (zumindest einen Teil) dieser Erfahrungen bereits selbst gemacht haben. Bei vielem habe ich geschmunzelt und heftig genickt. Andere Aussagen wiederum fand ich überzogen (oder habe sie zumindest persönlich nicht ganz so extrem erlebt wie der Autor). Und viele viele Male habe ich einfach über die Hintergründe gelernt, die im Laufe der Geschichte zu der ein oder anderen Besonderheit „des Chinesen an sich und im Allgemeinen“ führten.
Das Buch hat mich sehr gut unterhalten und ich habe außerdem viel gelernt – übrigens in der chinesischen Sprache! Denn Jo Schwarz erwähnt viele chinesische Begriffe in chinesischen Kurzzeichen (das „vereinfachte“ Schriftsystem, wie es in China verwendet wird im Gegensatz zu den Langzeichen Hongkongs und Taiwans) und in der lateinischen Umschrift Hanyu-Pinyin mit Betonungszeichen (was die Aussprache erleichtert).
Die Website zum Buch: www.alltagssinologie.com
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